Begebenheit bei der Abreise aus Luhenburg

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Begebenheit bei der Abreise aus Luhenburg

Beitrag von Wil » Mi 20.02.2013, 11:31:03

Das haben die abreisenden Lichtritter mitbekommen bei der Abreise:
(OT: stammt von der Landesorga)

Aviatag

Die Herzogslande. Stolzes Zentrum eines stolzen Landes. Die sanften Hügel im milden Winter in matten Grüntönen, die kahlen Laubbäume wie Federzeichnungen in brauner Tinte. Am Horizont im Süden erhebt sich der Dunkle Wald in fast schwarzem Grün. Ein Band aus Saphiren: der Leu. An dessen Ufer, ein Kleinod aus Elfenbein und Rubin, Leuenstein, die Herzogstadt.

Im Hornung eines jeden Jahres wird der Geburtstag der Sehenden Avia gefeiert. Obwohl ihr Monat der Nebelung ist, gedenkt jedermann an diesem Tag der aufopferungsvollen Sehenden. Kleine Vögel aus Hefeteig werden gebacken und mit eingelegten Kirschen verziert, um die Rotkehlchen darzustellen. Wie an jedem Namenstag eines Sehenden wird auch am Aviatag das große Tor des Palastes der Königin auf Erden geöffnet. Die beeindruckende Kathedrale betritt man sonst durch Seitentüren oder kleine Tore in dem gewaltigen, zweiflügeligen Tor. Auf dem großen Marktplatz vor dem Aufbewahrungsort der höchsten Reliquie der Religion, des Siegels der Einzigen und Ersten, finden sich dann Hunderte von Menschen zusammen, um der beeindruckenden Prozession der hohen Amtsträger aus den umliegenden Kapellen der Sehenden zuzusehen und den Segen der Tertii zu empfangen.
Heute aber tuschelt man aufgeregt, denn vor den Toren des Palastes der Einzigen und Ersten steht ein unerwarteter Gegenstand: Ein aufrechter Pfahl, mit Ketten daran. Man fragt sich, was das bedeuten soll und es herrscht ein eifriges Getuschel. Dann kehrt von außen nach innen Stille ein, denn die Ordensvorstände schreiten auf die Kathedrale zu. Was sonst ein prachtvolles Aufgebot der klerikalen Schätze ist, verbunden mit den beeindruckenden Klängen des riesigen Chores aus der Kathedrale, ist heute ein stummer Gang. Die Priester und Schwestern der Kirche tragen ihre schlichtesten Gewänder. Die Ordensmeister und der gesamte Ortwinsorden tragen die gefürchteten Kapuzen der Wahrheit: Stoff hängt über ihr ganzes Gesicht und nur die Augen blicken durch kleine Löcher. So tritt ein Kleriker der Einzigen und Ersten nur auf, wenn er ohne Ansehen der Person spricht. Dann wird Recht gesprochen - oder gerichtet...
Niemand erhebt die Stimme, die ahnungslosen Kinder werden zum Schweigen gebracht, als sich ein neues seltsames Bild auftut: Aviaschwestern streuen weiße Papiervögel aus, bis sie den Boden in einigen Metern Umkreis um den Pfahl bedecken.

Umringt von den Ordensmeistern und deren Gefolge entsteht so ein Richtplatz, ganz in weiß...

Und dann das Unglaubliche, Ungesehene: ein Raunen geht durch die Menge als der Primus der Kirche, Oberster Priester der Einzigen und Ersten, Hüter des Siegels, aus dem riesigen Tor auf den Platz tritt. Allein, barfuß, in einem einfachen weißen Hemd. Er wirkt winzig gegen die gähnende Dunkelheit hinter ihm, in der Kathedrale, die er seit Jahren nicht mehr verlassen hat. Sein Gesicht ist eingefallen und grau, seine Augen sind müde. Nun erscheinen hinter ihm die hünenhaften Paladine der Namenlosen Königin, die Streiter für den Glauben. Ob als seine Beschützer oder Wachen, ist unklar.

Wie aus einem Mund klingen die erprobten Prediger der Kirche, als sie in einem riesigen Kreis über den ganzen Platz verteilt, Folgendes verkünden:

"Die Kirche der Einzigen und Ersten, der Königin ohne Namen, der Herrscherin von Licht und Finsternis, und in ihr der Dreierbund der Orden und die Zwölf Orden der Neuen Kirche haben schwere Schuld auf sich geladen. Wir haben unserem geliebten Land den rechten Ratschlag verweigert. Wir haben unserem irdischen Herrscher das Verbotene gestattet und das Tun seiner Linie geduldet. Wir haben dies nach reichlichem Ratschluss getan und in der Hoffnung, dass unsere Herrscher einen weiteren Blick haben als wir. Die heiligen Gesetze unseres Glaubens sind unerschütterlich: Die Störung der Totenruhe eines unter unserem Siegel bestatteten Menschenkindes kann nicht ohne Strafe bleiben. Und der Dispens, den wir erteilten, kann für uns, die Kirche selbst, nicht gelten.
Es kann für diesen Bruch des Kirchenrechtes nur eine Buße geben: den Aviapfad. Weinet nicht, denn die Sehende Avia hat es auch nicht getan. Schreit nicht, denn dies ist heiliges Tun und das Urteil Eurer Kirche. Unternehmt nichts, denn dies ist der Wille des Siegelträgers und der einzige Weg, diese Schuld von unseren Herrschern und damit von Euch allen zu nehmen."

Während die letzten Worte verhallen, tritt der Primus vor und legt die Hände in ruhigen Bewegungen in die eisernen Schellen an dem Pfahl. Sie werden von einem Ortwinsbruder geschlossen, der unter seiner Kapuze so bitterlich weint, dass sein ganzer Körper zittert. Dennoch zieht er die Ketten hoch, bis der höchste unter den Dienern der Herrin ausgestreckt vor dem Pfahl steht. Dann nimmt der Mönch dem Primus der Kirche das Büßergewand ab. Ein älterer Mann, ziemlich mager in einer einfachen Bruche, hängt in der Kälte des Morgens.
Und dann das Schreckliche: die Ordensmeister aller Orden treten vor. In ihrer Hand eine spitze Stange aus Holz, reich verziert am Griff und mit hängenden Bändern versehen. Einige der Stangen zittern sehr oder schwanken, so wie ihre Träger. Aber alle bewegen sich unaufhaltsam auf den Primus zu. Die Füße in den einfachen Sandalen der Büßer rascheln, als sie durch die Papiervögel schreiten.

Und dann stoßen die Stangen zu. Einige zögerlich, andere entschlossen. Die Ordensmeisterin der Brigid muss sich ihren zweiten Stoß führen lassen von dem Ortwinsbruder. Denn Blut muss fließen. Aus zwölf Wunden muss der Primus bluten, für das Land, für den Herzog - für den Glauben.

Der Primus stöhnt nur leise. Vielleicht ist er im Gebet versunken, oder ein barmherziger Kirchendiener hat ihm ein betäubendes Mittel gegeben. Als die Stangen herausgezogen werden, läuft Blut an dem zitternden Körper entlang und der Kopf des Primus fällt nach hinten. Von den Stangen tropft Blut und färbt die weißen Papiervögel ein. Die Ordensmeister schwenken die besudelten Speere, damit sich die Tropfen auf den Vögeln verteilen.

Dann gehen sie schweigend in die Kathedrale, gefolgt von den Predigern. Die Paladine breiten das Büßergewand aus, wickeln den Primus darin ein und tragen ihn in den Palast der Herrscherin von Licht und Finsternis, den er sonst nie verlässt. Sie lassen einen leeren Platz zurück und eine fassungslos schweigende Menschenmenge.

Dann erschallt ein gewaltiger Chor aus dem Inneren der Kathedrale, so laut, das die Bürger in Angst fliehen oder sich zusammenkauern. Mit dem Klang: ein Sturm, geschwängert mit Weihrauch. Die weißen Papiervögel stieben auseinander, nach oben, verwirbeln sich zu einer Wolke und steigen weit in den Himmel hinauf.

Über das Land, über den Herrscher, über das Volk. Um die Sünde fortzutragen.
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